Die Fakultät A+R trauert um Em.O.Univ.Prof. Arch. Dipl.-Ing. Dr.techn. Günther FEUERSTEIN
Em.O.Univ.Prof. Arch. Dipl.-Ing. Dr.techn Günther Feuerstein (Foto @ David Passek)
Er war ein charismatischer Vermittler, der an der TU-Wien der 1968er-Jahre unter den Lehrenden als führender theoretischer Kopf herausragte. Als Mitarbeiter im Atelier von Karl Schwanzer, wo er unter anderem am Expo-Pavillon für Brüssel, heute „Museum des 21.Jahrhunderts“, mitwirkte, folgte er Schwanzer 1961 ans Institut für Gebäudelehre an der TU und betrieb von dort aus die Öffnung der TU für neue zeitgenössische Strömungen. Er förderte die jungen Wilden der damaligen Architekturszene, Coop Himmelblau, Haus-Rucker-Co und Zündapp. Wolf Prix bezeichnete ihn als „Letzen Druiden des Rituals“ in einer Zeit, in der man erklären musste, dass Architektur mehr sei als die Beherrschung des 7,5 m-Rasters in allen Lebenslagen. Tatsächlich standen das Ritual, das Prozesshafte und Programmatische stets im Mittelpunkt von Feuersteins Interesse. Dass er sich in seiner 1967 entstandenen Dissertation ausgerechnet dem Thema „Archetypen des Bauens“ widmete, erschien damals als wenig konsequent. Als Feuerstein diese Arbeit zehn Jahre später überarbeite und 1976 der Öffentlichkeit vorstellte, hatte sich der Wind bereits gedreht und die Erkenntnis verbreitet, dass Aktionismus allein noch keine Architektur ist. Es brauche, so die Position der damals gerade aufkommenden Postmoderne, auch gestalterische Prinzipien, die sich dem Funktionellen gegenüber ihre Autonomie bewahren müssten. Es ist wenig überraschend, dass Feuerstein in den 1980er-Jahren auch mit dem an der TU unterrichtenden Rob Krier zusammenarbeitete, einem Hauptvertreter der historisierenden Postmoderne.
Sagenumwoben ist Feuersteins „Club-Seminar“, in dem er während seiner Zeit an der TU die aus seiner Sicht begabtesten Studierenden zu sich ins Atelier einlud, um aktuelle Entwicklungen zu diskutieren. Feuersteins Einfluss an der TU und seine Gefolgschaft unter den Studierenden machten ihn zu einem unbequemen Geist, der sich unter den anderen Professoren wenig Freunde machte. Als er neben Walter Pichler auch Otto Muehl zu einer Aktion im Rahmen einer seiner Vorlesungen einlud, war das 1968 Anlass für seine Entlassung. Der Ausruf „Wo ist Feuerstein?“, den die Studierenden daraufhin mit einer Schablone in roter Farbe an die Wände der Gänge und Stiegenhäuser sprayten, konnte daran nichts mehr ändern. Feuerstein wechselte an die Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung nach Linz, wo er von 1973 bis 1996 eine Professur für Umraumgestaltung innehatte.
Die TU hat Feuerstein Anfang der 1980er-Jahre als Lehrbeauftragten für eine Vorlesung über „Gegenwartsarchitektur“ zurückgeholt, die einer ganze Generation von Studierenden einen lebendigen Einstieg in die jüngere Architekturgeschichte und -theorie vermittelte – lebendig insofern, als Feuerstein ein begnadeter Vortragender alten Stils war, der sich aber nicht scheute, multimedial zu unterrichten, mit Tonaufzeichnungen und Filmen. Sein Interesse an den Medien der Architekturvermittlung ging auf Marshall McLuhan zurück, einen anderen der Heroen der 1960er-Jahre.
Zu den zahlreichen Publikationen Feuersteins gehört die Zeitschrift „Transparent“, die er mit Hilfe von Studierenden von 1970 bis 1989 herausgab. Hier wurden internationale Trends aufgearbeitet, aber auch aktuelle lokale Themen in vorbildlicher Art behandelt. Dass Feuerstein zwei Ausgaben der Auseinandersetzung mit Harry Glück widmete, dem von den akademischen Akteuren der Zeit geschnittenen Großarchitekten, spricht für seine Integrität. Das hier abgedruckte Gespräch mit Glück und Feuersteins durchaus selbstkritische Analyse sind bis heute vorbildlich für guten Journalismus. Zu erwähnen sind weiters seine Bücher über „Visionäre Architektur in Österreich“ und über „Biomorphe Architektur“. Dass er in seiner Zeit in Linz auch an der Grundlagenforschung für die Normen für barrierefreies Bauen (ÖNORM B1600 und B1601) beteiligt war, zeugt von der Bandbreite seines Engagements.
Günther Feuerstein hat sich in seinem langen Leben der Architektur mit einer wunderbaren, seine Umgebung bereichernden Intensität gewidmet. Am 4. Dezember 2021 ist er in Wien verstorben.
(Christian Kühn, Fakultät für Architektur + Raumplanung)